DAS GANZE LEBEN IST THEATER

Bewegung im Leben und in der Natur

Fotografien von Sebastian Olschewski

vom 8. bis 30. Juni 2018 in der Rathausgalerie in Hiddenhausen

Im nächsten Jahr wird die Erfindung der Photographie ungefähr 180 Jahre alt. Das dunkle Zimmer – die Camera obscura – zeigte ein geheimnisvolles physikalisches Phänomen: Lichtstrahlen fallen durch ein Loch und erzeugen auf der dahinter liegenden Fläche ein umgekehrtes Abbild. Es ist die Zeichnung der Natur nicht von Künstlerhand! Diese Erscheinung war allerdings seit Da Vinci bekannt und wurde sowohl von Künstlern als Abbildungshilfe benutzt als auch auf Jahrmärkten mit transportablen Kabinen vorgeführt. Der Jahrmarktsbesucher wurde in die dunkle Kammer gesperrt, um darin das Phänomen zu bewundern. Dem Kunstwerksbetrachter blieb allerdings die Hilfe beim perspektivischen Zeichnen verborgen.

Im Jahr 1839 konnte diese Erscheinung auf einer lichtempfindlich beschichteten Platte außerhalb der Camera obscura besichtigt werden. Dem Franzosen Daguerre gelang es nämlich, mittels einer „Druckmaschine“ dem Daguerreotyp, durch einen chemisch-physikalischen Prozess, bei welchem „die Natur selber hilft sich selbst abzubilden“, auf einer Glasplatte festzuhalten. So die Definition von Louis Jacques Mandé Daguerre. Die offizielle Verkündigung des photographischen Verfahrens nach Daguerre erfolgte in einem Staatsakt am 19. August 1839. Die Errungenschaft, das flüchtige Abbild des Lichtes festzuhalten, brachte Daguerre eine lebenslange Leibrente des französischen Staates ein. Nun begann in rasantem Tempo der Weg der visuellen Kommunikation bis in unsere heutige Zeit der digitalen Fotografie.
Schnell eroberte sich das neue Verfahren den BILDER-Markt. Porträtbilder, Straßenansichten, Arbeitsprozesse und von Nadar (1820 – 1910) sogar die Dokumentation aus dem „Luftschiff“ – also der Vorläufer der Drohnen-Fotografie. Alle Momente des Lebens, die auf Dauer festgehalten werden sollten, konnten nun auf eine Platte gebannt werden – wenn auch mit sagenhaften Belichtungszeiten so z. B. für Gruppenfotos vier Minuten (d. h. 4 min. unbeweglich stehen oder sitzen). Für Maler war es allerdings eine einschneidende wirtschaftliche Revolution. Ihnen brach ein wichtiger Markt weg, der vorher ihren Lebensunterhalt gesichert hatte. Die Künstlergemeinschaft versuchte nun durch Abwerten der Fotografie als ein technisches Verfahren ohne die kreative Ausführung der Künstlerhand, das eigene Medium der Kunst aufzuwerten.
Aber schon ein halbes Jahr später hat z. B. Edgar Degas (1834 – 1917) die Chance der Fotografie für seine Malerei der bewegten Bilder genutzt. Degas war interessiert an Ballett, Zirkus, Varietee und Pferderennen. Die Kamera war deshalb sein Hilfsmittel, welches Bewegungs-Vorgänge schneller wahrnahm als das menschliche Auge.

Eine ehrende Erinnerung an den Maler und Fotografen Degas und seine „Grünen Tänzerinnen“ von 1878 sehen Sie in dieser Ausstellung: „Nach Degas“ von Sebastian Olschewski, 2018.
Der Künstler und Fotograf Sebastian Olschewski hat mit dieser Ausstellung auch die lange in der Kunstgeschichte diskutierte Frage beantwortet. „Ist Fotografie auch Kunst? Gehört sie in die Kunstgeschichte, denn es fehlt ihr ja angeblich die Hand eines Künstlers!“.
Natürlich, so wie nicht jedes gemalte Bild Kunst sein muss – ist auch nicht jedes Foto ein Kunstwerk. Aber Fotografien können Kunst sein und das können Sie in dieser Ausstellung erleben. Sie setzt sich mit Naturphänomenen, Landschaften, Tanz und Luftfahrtforschung auseinander – und das alles in Bewegung und alles tanzt. Nirgendwo Stillstand sondern die Überwindung des Totpunktes der starren, fotografischen Momentaufnahme. Mit den fotografischen Mitteln der Überblendung, der Bewegungsunschärfe, der Langzeitbelichtung, der Reihung und der sich bewegenden Kamera selbst – erschafft Olschewski Entstehungs-Zeiträume im Sinne des Bildhauers Rodin. Diese Prozessabläufe sind es – sie lösen die fotografische Abbildung aus der Vergänglichkeit des Moments – sind also Kunst!
Ihre Aufgabe ist es, als Besucher der Rathausgalerie, diese bildnerischen Phänomene in der Ausstellung zu entdecken, denn zur Kunst-Betrachtung gehört auch Arbeit. Und wenn es für Sie fruchtbar werden soll, müssen Sie es selber tun! Sie müssen sich einfangen lassen in den ewigen Lebenskanon der Bewegung. Ich gebe Ihnen dazu einen Ausspruch der großen Ausdruckstänzerin Pina Bausch mit auf den Betrachtungsweg: „Tanzt, tanzt – sonst seid ihr verloren!“

Roswitha Pentzek Melle, 8.6.2018